Light at the end of the tunnel1

Fotografien von Helfried Stange

 Struktur und Serie - Ornament und Reihung - Trance und Verführung 

Helfried Stange, 1946 in Meinersdorf geboren, in Lippstadt aufgewachsen, studierte Anfang der 70ger Jahre Kommunikations-Design in Münster. Sein Künstlerlehrer war Emil Bert Hartwig, der einzige Meisterschüler Paul Klees an der Düsseldorfer Kunstakademie. Nach dem Studium erweiterte Helfried Stange Kommunikationsdesign, Werbung und malerische Grafik durch Fotografie, so dass in den letzten Jahrzehnten ein großer Komplex an „Foto-Grafik“ entstanden ist.

Helfried Stanges Ausgangsbasis ist die gesehene Wirklichkeit, aber er bleibt nicht beim fotografischen dokumentarischen Abbild stehen. In der Mikrostruktur seiner Motive findet er rhythmische Strukturen, die er isoliert betrachtet, seziert, spiegelt, invertiert, repetiert und einem Foto-Geviert regelmäßig einschreibt. In seinen Arbeiten entsteht der Eindruck von serieller Reihung mit ornamentaler Gesamtstruktur, die Mantra-artig die Wirklichkeit neu heraufbeschwört: Er ist der Mann, der selbst Wasser, Sand und Ziegelmauerwerk ordnet. Der Mann, der die Welt der Dinge auch auf den Kopf stellt. Der Mann, der die Welt als einzige Wiederholung sieht. Der Mann, der die Dinge als Struktur sieht. Es gibt den Betrachter, der die Dinge vor lauter Struktur nicht mehr erkennt. Eine Nähmaschine ist eine Nähmaschine ist eine Nähmaschine, und wenn ich sie umdrehe, gilt immer noch: Enihcsamhän enie tsi Enihcsamhän enie.


Struktur ist im herkömmlichen Sinn ein Verband von Systemelementen, deren sich wiederholende Relationen untereinander durch ein Regelwerk bestimmt sind. Gruppen von diesen Systemelementen treten dabei in serieller Reihung gleichsam in Repetition wieder und wieder auf, bilden ein Muster, entweder in komplexer oder signifikant einfacher Konstellation.


Helfried Stanges Ausgangsbasis ist die gesehene Wirklichkeit, die er mit Hilfe der Fotografie dokumentiert. Dieser Aneignungsprozess von Wirklichkeit bleibt nicht beim fotografischen Abbild stehen. Die Zufälligkeiten von Sonnenstand, Aufnahmeperspektive und Farbigkeit des Motivs werden in seiner Fotografie beinahe als irrelevant in einem anschließenden digitalen Verarbeitungsprozess scheinbar vernachlässigt. Helfried Stange zeigt jedoch gesteigertes Interesse an der Mikrostruktur seiner Motive, in der er nach dem Rhythmus dortiger kontrastierender Elemente sucht. Gefundene rhythmische Strukturen werden isoliert betrachtet, seziert, gespiegelt, invertiert, repetiert und einem Foto-Geviert manchmal sogar Kaleidoskop artig eingeschrieben. Der erste Eindruck aus der Fernsicht zeigt Tableaus mit seriellen Reihungen oder einer ornamentalen Gesamtstruktur.


Die Nahsicht seiner oft großformatigen Fotoarbeiten lädt zur Fahndung nach dem Ausgangsmotiv ein, was sich erst nach minutiöser Suche in der Mikrostruktur offenbaren will. Als einzelnes ist es als seriell Multipliziertes eingebettet in eine sich der Deutung entziehende Makrostruktur, deren Sinngehalt sich in ihrer eigenen ästhetischen Ausformung erschöpft. Das makrostrukturelle Ordnungs-Gefüge nimmt scheinbar keine Rücksicht auf das Ausgangsmotivelement, sondern dient es in Form der Vermassung seiner hierarchisch dominierenden Metastruktur an. Die Fernsicht lässt in einigen Arbeiten Moiré-Effekte (die hier nicht gezeigt werden) zu, oder an Jacquard-Stoff denken, mithin ein Muster, aus welchem hier eine ganz eigene Welt des ornamentalen Rapports gestrickt scheint.


Es gibt Berührungspunkte mit seriellen und postminimalistischen Tendenzen der 1970er Jahre. Man wird unwillkürlich an die serielle Musik von Philip Glass, Steve Reich, an elektronische populäre Musik von Neu, Kraftwerk, Tangerine Dream oderJean Michel Jarre etc., in der serielle und repetitive Strukturen stilprägend waren, erinnert. Die zeitgenössische Entsprechung setzt sich in Techno-Beats, Ambient und Psytrance fort, deren meditative Repetitivstrukturen tranceartige Zustände erzeugen sollen. Ebenso meint man einen entfernten Nachhall von „Koyaanisqatsi“, einem Film von Godfrey Reggio, der Anfang der 1980er Jahre mit Zeitraffersequenzen und Luftaufnahmen der Massengesellschaft, sowie elegischen Naturaufnahmen arbeitete, zu spüren.

Es stellen sich die Fragen nach Chaos und Ordnung, Beschreibung und Konstrukt, oder Wahrnehmung und Sinngehalt von „Welt“.


Wer den Dschungel der Stange‘schen Umstrukturierungsszenarien für sich ein Stück weit lichten konnte, landet entweder im strandnahen Balkonien, vor oder in Metropolenarchitektur oder aber im bunten Einerlei diverser Warenkollektionen. Trefflich ließe sich über das Individuum in der Massengesellschaft, Uniformierung oder über den Trancecharakter von Massenveranstaltungen räsonieren. Aber vielleicht will uns Helfried Stange auch einfach nur ästhetisch verführen? Allein dies bleibt sein Geheimnis und die Betrachter sind gerufen, dies mit detektivischer Präzision und Beharrlichkeit zu lüften.


Andreas Moersener


 

 




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